Totschlagargument „Erprobungsklausel“

Die erweiterte Produkt-Haftpflicht als Bestandteil der Betriebs-Haftpflicht-Versicherung für produzierende Unternehmen deckt bekanntlich bestimmte Schadensersatztatbestände aus gesetzlicher Haftung ab, die aus der Herstellung oder Lieferung mangelhafter Erzeugnisse oder Leistungen resultieren. Dies sind beispielsweise Weiterver- oder Weiterbearbeitungskosten sowie Austauschkosten.

Eine grundlegende Voraussetzung für die Übernahme der zugesagten Leistungen durch den Versicherer ist, dass zuvor kein Umstand eingetreten ist, unter dem gemäß der Versicherungspolice keine Leistungspflicht besteht (Ausschlusstatbestand).

Ein solcher Ausschlusstatbestand ist die so genannte „Erprobungsklausel / Experimentierklausel“.

Wachsende Bedeutung gewinnt diese Klausel für den Versicherungsschutz vor allem deshalb, weil durch den steigenden Druck der Märkte auf die Wirtschaft der Zwang zu kürzeren Produktzyklen, und damit auch zu kürzeren Erprobungsphasen steigt. Daraus resultieren zunehmend Produktmängel, die in der Folge vermehrt zu Haftpflichtansprüchen führen.

Die tägliche Praxis zeigt uns leider, dass bei der Abwicklung von Haftpflicht-Schadenfällen diese Erprobungsklausel in der letzten Zeit von den Versicherern standardmäßig thematisiert und somit der Versicherungsschutz häufig verweigert wird.

Derzeit wird in Haftpflichtpolicen für die Erprobungsklausel eine mehr oder weniger gleichlautende Formulierung verwendet:

Ausgeschlossen sind „Ansprüche aus Sach- und Vermögensschäden durch Erzeugnisse, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach dem Stand von Wissenschaft und Technik oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt waren“.

Die grundlegende Kernfrage bei Auseinandersetzungen mit den Versicherern über das Bestehen von Versicherungsschutz ist häufig, ob das Erzeugnis ausreichend erprobt war. Dabei ist zu klären, ob die Erprobungen im Hinblick auf den konkreten Einsatz des Produktes jeweils dem Stand von Wissenschaft und Technik, d. h. dem aktuellen, gesicherten Forschungsstand in einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Kreisen, entsprachen. Nicht bei allen Produkten, insbesondere nicht bei exotischeren, existieren jedoch anerkannte Regeln der Technik und Wissenschaft zur Produkterprobung. Hier muss gegebenenfalls ein Gutachter klären, ob die Erprobung des Produkts ordnungsgemäß erfolgte.

Aus dieser Vorgabe folgt auch, dass das Produkt nicht nur bei der Markteinführung den Erkenntnissen der Praxis in Wissenschaft und Technik genügen muss; dieser Maßstab ist vielmehr auch bei der Neu- bzw. Weiterentwicklung des Produktes jeweils neu zu bestimmen und zu berücksichtigen. Versicherer argumentieren häufig damit, dass jeder Prototyp ausreichend zu erproben ist. Damit sind „Nachbauten“ nicht ohne weiteres als ausreichend erprobt anzusehen, nur weil ein ähnliches Produkt serienreif bereits am Markt ist. Nach einer Produktänderung, beispielsweise bei der Änderung einer Rezeptur, muss die Eignung für den vorgesehenen Verwendungszweck erneut – also wie bei einem Neuprodukt – getestet werden.

Zielrichtung hierbei ist, dass Hersteller das Entwicklungsrisiko ihrer Produkte und damit die Finanzierung der Entwicklung durch nachträgliche Erprobung nicht auf den Versicherer übertragen können. Das mit der Einführung von Innovationen verbundene Haftpflichtrisiko soll beim Produzenten verbleiben und ihn gleichzeitig zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Risiko anhalten.

Der Versicherer hat grundsätzlich die unzureichende Produkterprobung zu beweisen, dem Versicherungsnehmer obliegt in einem Deckungsprozess dagegen die Beweislast für das Fehlen eines Funktionszusammenhanges oder eines bestimmungsgemäßen Einwirkens (fehlende Kausalität). Dabei muss darauf geachtet werden, die Produkterprobung ausreichend zu dokumentieren, denn eine unzureichende Dokumentation kann zu Gunsten des Versicherers zur Beweiserleichterung und sogar zu einer Beweislastumkehr führen.

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